Montag, 14. April 2014

Risiko...

Das war er nun - "mein" Rotterdam-Marathon. Gefinisht. Seit langem mal wieder ein Straßenmarathon. Der Blick auf die Uhr müsste eigentlich ernüchternd sein, denn da steht 3:28:15. Das ist nun wahrlich nicht wirklich das, was rauskommen sollte. Aber bloße Zahlen und Zeiten sind nicht immer alles und hinter allem steht eine gewisse Vorgeschichte. Der Reihe nach:

Nachdem ich mich jahrelang "nur" beim Rennsteigmarathon vergnügt habe, 2x den Leipzig-Marathon abgebrochen hatte und letztes Jahr pünktlich zum Saisonhöhepunkt ordentlich krank war, sollte endlich mal wieder der Asphalt gerockt werden. Und da ich meinem Leipzig-Trauma lieber aus Wege gehen wollte und das Erlebnis Marathon mit einem besonderen Event kombinieren wollte, meldete ich mich bereits frühzeitig im letzten Jahr
zum Rotterdam-Marathon an. Kostet halb so viel wie Berlin, hat ne superschnelle Strecke (wenn man kann) und soll (laut WWW) richtig tolle Atmosphäre bieten.

Ok, also musste wieder ein Trainingsplan her. Letztes Jahr noch nach Klemmbrett-Karraß (was auch Spaß gemacht hat); dieses Mal nach den Vorgaben der Lauffreunde Matthi und Chrische. Soll heißen: ich gebe wöchentlich vor, wann und wie oft ich laufen kann und die beiden tragen entsprechend die Trainingseinheiten ein. Im Dezember ging es los. Lief größtenteils auch richtig prima. Wenige Ausfälle (1 Woche krank im Dezember; Zahn-OP im Frühjahr) ansonsten klappte es gut, vor allem weil auch ein sehr läuferfreundlicher Winter das Training erleichterte. Mehr Tempo, viele tempowechseeinheiten, mehr und frühere lange Läufe und ein Trainingsmarathon sollten sich positiv auswirken. Einige Einheiten waren echt hart und selbst die Trainer waren skeptisch, ob ich diese auch schaffe, aber es passte. Die langen Läufe fast alle allein, teils mit schönen MRT-Blöcken und letztlich ein perfekt gelaufener Halbmarathon im MRT mit vorangestellten 10km-Einlaufen stimmten mich positiv.

Ok, ein Ziel muss natürlich auch her. Minimalstes Ziel: Personal Best; Minimalziel: 3:30; machbar: 3:25-20; optimal (da muss alles passen): 3:15.

Die Standortbestimmung Wurzen-Grimma bestärkte mich und die beiden Trainer darin: 3:15! Mit dem Pacemaker 4:37min/km angehen und schauen, wie es läuft.
So stand auch für mich fest: ich fahre nicht nach Rotterdam um einen Sicherheitslauf zu machen, sondern ich will rocken! Riskant, aber keine Selbstüberschätzung.

Die letzten Wochen/Tage waren geprägt von steigender Anspannung aber auch von wirklich guten Trainingseinheiten die uns im gesteckten Ziel bestätigten. Einzig muskuläre Probleme (erste Anzeichen von Krämpfen) beim Wurzen-Grimma-Halbmarathon machten mir etwas Sorge, aber ich schob es auf die Belastungswochen.

Die ganze Anmelderei, Zusendung von Startunterlagen etc. verliefen problemlos. Am Freitag in aller Frühe mit Kind und Kegel nach Rotterdam gefahren und vor Ort das gemietete Hausboot als Basislager bezogen: zentrumsnah und auch noch in geringer Entfernung zum Start/Ziel. Eine absolute Empfehlung und ein echtes Highlight auch für die Familie! Nachmittags dann Startunterlagen auf der Marathon-Expo abgeholt und geschaut, wo man am Sonntag alles deponieren kann etc.. Die ganze Stadt war schon in voller Vorbereitung und Aufregung für den Marathon: überall Fahnen, Poster, Musik.
Samstag dann früh ein kleiner Lauf im Park am Hafen. Keine Menschenseele weit und breit, herrlicher Sonnenaufgang, Spitze! Tagsüber Stadtbummel u.a. mit Euromast -> Ausblick aus 200m über die Stadt. Zudem bei den kürzeren Läufen (Kids-Run) zugeschaut.

Sonntag früh bezeiten Richtung Start aufgebrochen. In einem riesigen Zelt deponiert man seinen ganzen Kram und tingelt dann zum Start. Blockeinteilung. Ich stehe in D und treffe gleich den Pacemaker für 3:15. Er will ganz vorn starten. Ich stelle mich gleich dahinter. zum Glück scheint etwas die Sonne. Es ist recht kalt und der Wind bläst doch merklich. Der Startblock füllt sich. Dann erscheint Lee Towers und schmettert zusammen mit circa. 12000 Startern und unzähligen Zuschauern seine Hymne: "YOU'LL NEVER WALK ALONE"! Das sorgt für absolutes Gänsehautfeeling (auch wenn er lieber "you'll never run alone" hätte singen sollen)...
Kanonenschlag 10:30Uhr los geht es. Mächtiges Gedränge! Die Pacer pacen los! Viel zu schnell. Ich verstehe keine Wort außer irgendwas von "te snell / flott". Beim 2.km drosseln sie, dann wieder zu schnell, wieder zu flott. Grrrrr! Ich mag nicht in der Gruppe laufen und renne direkt neben den beiden Pacern. Hier ist noch kein Wind. Es macht Spaß. Außer das schnell/langsam. Ich verabschiede mich 10m vor die Gruppe und laufe ab da alles komplett mein eigenens Tempo. Wie sich am Ende zeigt auch wie ein Uhrwerk. Die 5km-Blöcke in 22:50/22:50/22:51/22:51. Alles perfekt. Die Halbmarathonmarke überlaufe ich bei 1:36:xx (Durchschnittspace 4:34min/km) also mit etwas Puffer. Ich merke aber deutlich, dass die Oberschenkel nicht gut sind, obwohl es noch prima rollt. Für die Sehenswürdigkeiten am Rande der Strecke habe ich keinen Blick. Fokusiert und konzentriert spule ich die Kilometer ab. Der Wind stört mich nicht. Bei km5 hätte ich die Trinkflasche vom späteren Sieger Eliud Kipchoge nehmen können die mir seine Betreuung reichte. Hätte ich mal lieber  angenommen ;-)

Kurz nach km25 überquert man die große Erasmusbrücke zum 2.Mal. Der Pacer samt großer Gruppe überrollt mich... Noch bin ich voll im Soll (sogar voraus), er ist mir aber
zu schnell hier. Dann kommen die Krämpfe. Was sich seit 3-4 Kilometern angekündigt hat, verstärkt sich bereits merklich. Schon bei 27/28km weiß ich, dass das Optimum nicht zu schaffen ist. Dafür sind die Beine nicht gut genug. Der Kopf will rennen, die Oberschenkel rufen "DNF". Never! Zwischen km 29 und 30 kommen mir die fliegenden Holländer entgegen (sie passieren km40), sie werden etwa bei 2:15 finishen. Wie gern wäre ich jetzt auch schon dort. Vom Streckenplan wusste ich, dass jetzt die Seeumrundung folgt. Es folgen 12km Leiden und Schmerzen. Im Kopf rechnet man ganz simpel: selbst mit 5er Pace schaffe ich noch 3:20h. Easy! Bei km35 stand die kumulierte Pace noch bei 4:44. Aber es ging nix mehr. 7km können so verdammt lang sein.

Irgendwann kommt die erste Gehpause. Betonoberschenkel. Muskeln wie im Schraubstock! Ausgerechnet hier ist die einzige passage mit relativ wenigen Zuschauern. Ansonsten immer 2er und 3er Reihen. Kinder die Orangenscheiben reichen, private Wasserstellen, aller 5km Getränke (Pappbecher! Oben mit Schwamm "verschlossen" - super!). Dazwischen
Refreshments mit Schwämmen und Gels. Immer wieder Anfeuerungen der Zuschauer. Eigentlich kann man nicht gehen weil man sofort namentlich angebrüllt wird.
Meine Schuhe kleben auf der Straße - gefühlt. Ich rechne nochmal: 3:25 ist locker drin! Einfach zu Ende joggen. Wo sind die Hollandräder jetzt? Ich weiß nicht wann ich das letzte Mal so langsam unterwegs war. Selbst nach 41km muss ich ne Gehpause einlegen denn danach gehts wieder für 500m mit den Krämpfen. Auch wenn das Ziel in greifbarer Nähe ist.
Seit km30 geht es aber auch anderen so. Immer wieder sieht man Läufer die stehen, sich dehnen. Zumindest das konnte ich vermeiden. Ich wäre nicht mehr losgekommen.

Dann Zielgerade, Finish. Ich schaue auf die Uhr. Sieht man es pessimistisch: total körperlich eingebrochen und gerade so unter 3:30h angekommen. Sieht man es positiv: neue persönliche Bestzeit, Unmengen Ereignisse und Erfahrungen auf der Strecke, eine Superveranstaltung. Ich entscheide mich für letzteres; auch wenn der zahlenwert enttäuschend aussieht.

Im Ziel: Medaille, Getränke, Emotionen pur, Treppen runter (!!!) zum Umkleidezelt (die fiesen Schwe....!), schmerzverzerrte Gesichter anderer Mitstreiter. Neben mir sitzt
ein Holländer der ebenfalls 3:15 anging und ab 35 nicht mehr folgen konnte. Er meint, das up & down der Pace hätte ihn fertig gemacht. Aber er ist begeistert dass da einer
aus Leipzig nach Rotterdam kommt, 650km Autofahrt abspult, nur um in "seiner" Stadt Marathon zu laufen...

22Uhr bin ich zurück in Leipzig, habe die liveticker-artigen ca. 200 Whatsapp-Nachrichten über den Leipzig-Marathon komsumiert und komme zum Fazit:

Es hat sich gelohnt, no risk no fun, coole Kiste!

Special thanx to my family, to Klemmbrett-Matthi & Schleifer-Chrische und die ganze eXa-Crew!!! egal ob auf der Strecke, neben der Piste, am Stammtisch oder in Gedanken!

hier noch ein paar Impressionen (klick):

Basislager (außen):

Basislager (innen):

Wall of Fame:

Johannes an selbiger:

Erasmusbrücke (2x zu überqueren) und Marathondenkmal:

mit allen Siegern der letzten Jahre:
 

rechts wäre noch Platz für mich ;-)

Morgenlauf:
 

am Vortag (Kids-Run & Mini-Marathon):

Ausblick vom Turm "Euromast":

Sonntag 9Uhr:

fertsch (und trotzdem Daumen hoch!):
 

 Ergebnis:

4:30h-Läufer kurz vor dem Ziel: